Kestner Gesellschaft

Bethan Huws

05 Mar - 24 May 2010

Bethan Huws, Forest 2008-09
88 Bottle-Racks & neon piece (detail)
Installation at Serralves Foundation, Porto 2009
Courtesy the artist & Yvon Lambert, Paris-New York
Photo: Filipe Braga, Porto
© Bethan Huws & VG Bild-Kunst, Bonn 2010
BETHAN HUWS
Il Est Comme Un Saint Dans Sa Niche: Il Ne Bouge Pas
05 March – 24 May 2010

»I do Duchamp like I do a crossword puzzle.« Das Werk Marcel Duchamps, eines der einflussreichsten und wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts, ist enorm undurchsichtig und geheimnisvoll. Wenn Bethan Huws daher sagt, sie mache Duchamp wie sie ein Kreuzworträtsel mache, erscheint das nur angebracht. In Form zahlloser Notizen hat sie sich über Jahre hinweg mit seinem Werk auseinandergesetzt, sich ihm angenähert, ohne jedoch mit Lösungen aufzuwarten. Ihre Beschäftigung ist gleichzeitig immer auch Denken über das Kunstmachen an sich. Neben Notizen sind es künstlerische Arbeiten von Huws, die Duchamp als Person selbst wie sein Oeuvre in mal sehr enger, mal in entfernterer Weise verhandeln. Die Ausstellung Il est comme un saint dans sa niche: Il ne bouge pas in der kestnergesellschaft versammelt eine Auswahl filmischer, textbasierter und objekthafter Werke, die ihre Auseinandersetzung mit Marcel Duchamp aufzeigt.
Bethan Huws kann als Konzeptkünstlerin gelten, versteht man unter diesem Begriff eine Kunst, die bereits den Prozess der Werkfindung, des Nachdenkens als Teil derselben begreift, die dem Gedanklichen eine wesentlichere Rolle beimisst als dem Visuellen, die danach fragt, was Kunst ist, was das Bildliche, Sprachliche, was Repräsentation ist. In den formal sehr klaren, präzisen Arbeiten von Huws steht das Verhältnis von Bild und Sprache ebenso zur Disposition wie die Frage nach der Produktion von Bedeutung durch und das Verstehen von Kunst. »What’s the point of creating more artworks when you don’t understand the ones you’ve got?« ist in einer Wortvitrine als selbstreflexive, aber auch als an den Betrachter gerichtete Frage zu lesen.
Der siebenminütige Film Fountain spielt mit diesem Anspruch des Verstehen-Wollens. Während eine Vielzahl barocker Brunnen zu sehen ist, hören wir eine Stimme, die mit starkem Akzent englisch und französisch, aber auch walisisch spricht. Die Sprecherin redet über das letzte Werk Duchamps, Étant donnés (1946-66). Im Film werden neun korrespondierende französische Redewendungen als zentral für seine Konzeption angenommen. Bethan Huws präsentiert auf diese Weise die Ergebnisse ihrer Untersuchung des Duchampschen Werks und stellt die große Bedeutung von Sprache für dieses heraus.
Der Filmtitel Fountain weist bereits auf eines der berühmtesten Werke Duchamps hin: sein Ready-made aus dem Jahr 1917 desselben Titels, ein auf den Rücken gelegtes und mit dem Pseudonym »R. Mutt« signiertes Urinal. Dort fallen die Bezeichnung ›Fountain‹ (Brunnen) und das gezeigte Pissoir in provokanter Weise auseinander. In Huws’ Film aber stimmen Titel und Bilder überein. Ebenso auf einer metaphorischen Ebene gleicht das Geräusch des fließenden Wassers für die Künstlerin doch dem Prozess des Sprechens und damit Denkens. In dieser Hinsicht lässt sich auch der Satz »Am Grund des Gehirns befindet sich ein Brunnen« verstehen, der die Neonarbeit At the Base of the Brain There Is a Fountain bildet. Gibt der Film Fountain das letzte Werk Duchamps nicht zu sehen, so ist es eine andere Arbeit von Huws, die zumindest einen Teil daraus zitiert und isoliert präsentiert. An eine Wand montiert wird die Nachahmung eines menschlichen Arms, der eine Gaslampe hält, im Deutschen wortwörtlich zum Armleuchter. Vor allem aber ruft Huws’ Étant donnés denjenigen, die Duchamps Werk kennen, das Original vor Augen, das in seiner irritierenden Komplexität hier in humorvoller Weise verknappt erscheint.
Ein ähnlich trocken humorvolles Umgehen findet sich auch, wenn Huws ein knappes Dutzend Datteln auf einem Sockel platziert und dies mit Dates are important betitelt. Neben der Adaption des Konzepts des Ready-mades ist es abermals das Verhältnis von Sprache und Bild, die Mehrdeutigkeit von Wörtern, die Huws hier verhandelt. In diesem Fall sind nicht nur Datteln wichtig, der Titel lässt sich auch so verstehen, dass Verabredungen es sind. Und tatsächlich, die Ansammlung der Früchte kann als bildliche Darstellung einer Zusammenkunft gelesen werden.
Ein Verwirrspiel von Bedeutungsebenen findet sich auch im Film The Chocolate Bar, der um den mehrfachen Sinn des Ausdrucks ›Mars‹ kreist, was mit Bemühungen des Erklärens, Verstehens und dem doch andauernden Missverstehen der zwei Protagonisten einhergeht. »Where does he come from, Mars?« Die Frage lässt sich durchaus auf einen im Bild sichtbaren Flaschentrockner beziehen. Porte-bouteilles ist ein weiteres berühmtes Ready-made Duchamps aus dem Jahr 1914. Ein Ding, so mysteriös und unverständlich wie von einem anderem Stern? Bethan Huws versammelt fast 90 dieser ohnehin einem Baum ähnelnden Objekte zu einem Wald, den wir durchschreiten können. Mit Forest wendet sie Duchamps Haltung der Gleichgültigkeit gegenüber ästhetischen Prämissen in eine neue Richtung, die erneut auf das Verhältnis zwischen Sprache und Dingen aufmerksam macht.
In der kestnergesellschaft wird in diese Installation der Film A Marriage in the King’s Forest integriert, eine Dokumentation einer Hochzeit in Südengland, deren Uraufführung in einem wirklichen Wald stattgefunden hat. Damit ist nicht nur in selbstbewusster Weise auf die eigene Ausstellungsgeschichte verwiesen: ›marier qc. à qc.‹ heißt im Französischen etwas mit etwas zu vereinen oder zu kombinieren, und weist in dieser Bedeutung für Huws auf eine Eigenheit des künstlerischen Schaffens selbst. Ihr Anliegen, sich auf profunde und auch objektive Weise mit den Strukturen des Duchampschen Werks zu beschäftigen, fügt sich, wie schon angedeutet, in ihre Reflektion über das Kunstmachen und Ausstellen ein. Im Kontext dieser Ausstellung gibt sich Huws darüber hinaus als Betrachterin zu erkennen, die wie wir darum bemüht ist, zu verstehen. Deshalb müssen wir nicht notwendig etwas über Duchamp wissen, denn es ist der Prozess des Betrachtens selbst und damit des Verstehens, der aufgeführt wird.
Nicht zuletzt ist die Wahl des Ausstellungstitels einem Gedankengang der Künstlerin über den Status von Kunstwerken geschuldet. In ihrer Materialität sind diese wie ein Heiliger in seiner Nische unbewegliche Objekte. Nichts anderes bedeutet die veraltete französische Redensart »Il est comme un saint dans sa niche: Il ne bouge pas«. Was uns im nächsten gedanklichen Schritt umso stärker darauf wirft, dass erst die Anschauung ein Kunstwerk vollständig macht.
 

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