Charim

Ivan Bazak

21 Jan - 14 Feb 2015

© Ivan Bazak
Stalin, ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR, 2014
120 x 109 cm
Kohle, Pigmente, Acrylbinder auf Nessel
IVAN BAZAK
Stillleben
21 January - 14 February 2015

Ivan Bazak – Still Leben

Das Interesse an Geschichte regt sich in der Regel immer dann, wenn man irgendwie nicht mehr so recht weiß, wie es weiter gehen könnte. Vielleicht ist dies ja der Ausgangspunkt für die neue Bilderserie, die Ivan Bazak in den Räumen der Galerie Charim ausgebreitet hat. Zu sehen sind großformatige Leinwände, ausschließlich mit Buchcovern als Motive. Passend dazu hat er eine Art Leselounge eingerichtet und präsentiert auf diversen Auslagen zahlreiche Bücher und Broschüren. Auch die Exemplare, die die Vorlage zu den Bildern abgaben, sind dort zu finden und können durchgeblättert, gegebenenfalls auch studiert werden. Sämtliche Bücher entstammen der Hinterlassenschaft eines ehemaligen Studenten der Frankfurter Universität, der dort u.a. bei Adorno gegen Ende der 60er Jahre sein Philosophiestudium absolvierte. Die Betrachter sind demnach aufgefordert oder besser vielleicht eingeladen sich auf eine Zeitreise zu begeben und die abgegriffenen, zerlesenen und mit Anstreichungen versehenen Druckerzeugnisse aus einer bewegten Zeit vor dem Hintergrund der Gegenwart erneut zu befragen. Die Auswahl der Bücher hat durchaus exemplarischen Charakter. Neben den Klassikern Marx, Lenin und Mao finden sich ebenso Werke von Karl Korsch, Plechanov und Spartak Beglow. Ein Teil der Faszination, die dieser Fundus auf Ivan Bazak auszuübern vermag, rührt vielleicht daher, weil einige der Schriften noch zur Schullektüre des 1980 in der Ukraine geborenen Künstlers gehörten. Für die 68er Bewegung hatten sie als Wiederentdeckungen hingegen die Funktion, als Transmissionsriemen zu dienen. Eindeutig im Vordergrund stand die Rezeption bereits vorhandener Theorietraditionen, vornehmlich marxistischer Couleur, war es doch vor allem die Dynamik einer intellektuellen Suchbewegung, die um 1968 Radikalisierungs- Innovations- und Differenzierungsschübe freisetzte. In einem atemberaubenden Wechsel wurden Theoreme aufgegriffen, einstudiert, mit der politischen Situation in Einklang zu bringen versucht, verworfen und wieder ausgegliedert. Der Horizont der Gesellschaftsveränderung sollte offen bleiben.

Mit seinen Nachzeichnungen ändert Bazak demgegenüber überdeutlich den Aggregatszustand der Bilder, eignet sich Wörter und Bilder an, die einem vielleicht nicht selbst gehören. Die geänderte Medialität verändert demnach auch ihre Modalität und somit kann und muss auch ihre Legitimation neu verhandelt werden. Betroffen von dieser Kontextverschiebung ist selbstredend auch der Ort, an dem diese Bilder zur Schau gestellt werden. Privates und Öffentliches scheinen einander zu durchdringen. Der Abbildrealismus, mit dem Ivan Bazak sich seinem Motivrepertoire annähert, begreift Realismus als ein Feld, das durch Fakten und Wünsche gleichermaßen bestimmt ist. Das gesellschaftliche Imaginäre ist demnach als gleichwertiger Teil der Realität anzusehen.

Von Nöten scheint es demnach weiterhin, die künstlerische Arbeit in einen sozialen und politischen Zusammenhang zu stellen und dabei trotzdem innerhalb eines autonomen künstlerischen Raumes zu bleiben - etwa einen Raum zu schaffen, den das Subjekt als Erweiterung seines eigenen Körpers verstehen kann.

Bei Ivan Bazak geht es demnach nicht darum, mit oder in seinen Bildern zu revolutionieren, sondern eher darum, die Dinge ein wenig zu überlisten, sie aufzulockern und damit beweglicher zu machen, misstraut er doch nach wie vor einem normierten Denken und Sprechen. Bilder haben demgegenüber schließlich den nicht unerheblichen Vorzug, auf einer Deutungsoffenheit beharren zu können. Zudem liefern sie die Projektionsfläche auf einen Raum, in dem Reales und Imaginäres einander begegnen oder sich mischen können. Bazaks Bilder sind durchwebt von einer dialektischen Intensität. Das eigentliche Material sind sowieso die Bilder im Kopf. Die malerische Umsetzung könnte demnach zur Postproduktion rechnen, wenn nicht die ausführende Behandlung mitunter selbst einen bestimmenden Part einfordern würde.

Gegenwelten und Orte des Abseits stehen in Bazaks Tafelwerk ‚Still Leben’ zur Disposition und werfen Fragen nach den in der Vergangenheit entwickelten Utopien, Visionen, Ideologien und ihrer Einlösung in der Gegenwart auf. Vielleicht sind einige davon ja bereits eingelöst, nur haben wir es beizeiten nicht mitbekommen, weil das Bild, welches wir von ihnen hatten, nicht mit der Form in Deckung zu bringen ist, die sie bei ihrer Umsetzung übergestreift haben. Modern sein heißt eben auch wissen, was nicht mehr geht. Weniger das jeweils verwendete Medium steht bei Bazaks Umgang mit den Vorlagen im Vordergrund, viel eher die Dringlichkeit des Anliegens. Dieses zielt auf einen selbstbestimmten, kritischen und kreativen Umgang mit unseren Symbolen, Werten und Vorbildern, verbunden mit der Einladung zum kommunikativen Austausch über uns und unsere Welt. Verhandelt werden das Wissen, die Macht und die Subjektwerdung des Menschen. Der Logik der Systeme und dem universellen Verblendungszusammenhang gilt es pointiert entgegenzutreten und spielerische Freiräume des offenen menschlichen Umgangs miteinander einzufordern. Inmitten einer Welt der verabredeten Eindeutigkeiten unterhält Ivan Bazak mit seinem zweiten Blick auf die konsumierten und oftmals vergessenen Bilder Kontakt mit den Dingen jenseits der Antithese von Nutzen und Nutzlosigkeit. Dieser Blick könnte jedoch auch die Fähigkeit bezeichnen, überraschende Verknüpfungen und ungeahnte Querverweise auch aus dem Fundus der Historie auf ihren künstlerischen Ertrag hin aufzuzeigen und durchzuspielen. Nur zu gut weiß Bazak schließlich, dass wir es ohne ein buchstäbliches und metaphorisches Draußen in unserem buchstäblichen wie metaphorischen Drinnen nicht aushalten. Bazaks künstlerische Strategie der streunenden assoziativen Recherche verleiht den Bildern die Antriebsgeschwindigkeit von Gedanken, die Exponate kommen dabei als rhetorische Attrappen zum Einsatz. Wie der bereits aufgerufene Adorno schließlich formulierte: „Als rein gemachte, hergestellte, sind Kunstwerke Anweisungen auf die Praxis, deren sie sich enthalten: die Herstellung richtigen Lebens.“

Harald Uhr
 

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