Daniel Buchholz

René Pollesch

16 Dec 2011 - 04 Feb 2012

RENÉ POLLESCH
"Der Dialog ist ein unverständlicher Klassiker" -
Der Schnittchenkauf 2011-2012
December 16th 2011 - February 4th 2012

Ein Vorwort

Ich denke hier tatsächlich daran, den "Schnittchenkauf" zu schreiben. In Brechts "Messingkauf" äußert die Figur des Philosophen bestimmte Ansprüche ans Theater, die jetzt im "Schnittchenkauf" wieder von den Schauspielern zurückgefordert werden. Der ganze Umstand kommt nicht von den Philosophen, sondern im Gegenteil, sie fordern uns geradezu auf, die ihnen zugeschriebenen Ansprüche von Brecht wieder zurückzufordern. Der "Schnittchenkauf" sollte sich auch um etwas kümmern, was ich gestern über Brechts Schüler hörte, die die Modellbücher und die theatertheoretischen Texte nicht mit Brechts Aufführungspraxis in Einklang bringen konnten. Seine Theorie verzichtet, im Gegensatz zum Beispiel zu den Lehrstücken, leider nicht auf Repräsentation. Ein möglicher theatertheoretischer "Schnittchenkauf" sollte sich deshalb vor allem um das kümmern, worüber normalerweise nicht geredet wird und worüber auch nicht geredet werden kann.
Bis hier hin, also bis zu diesem Buch, gab es die Interviews, in denen man diese Dinge sehr gut veröffentlichen konnte. Zum Beispiel bestimmte Dinge, die der Theaterabend über die Praxis der Beteiligten dann doch nicht sagen kann, obwohl meiner Meinung nach vieles an ihm abzulesen ist. Ich finde zum Beispiel, man sieht bei uns sehr gut, daß der erste Autor unserer Abende der Bühnenbildner ist, das heißt, der erste Text, der uns vorliegt, ist das Bühnenbild. Der Bühnenbildner ist jedenfalls nicht länger Dienstleister an einer Vorlage. Der von Brecht auf die Bühne gezerrte und entführte Philosoph denkt aber leider noch, der Regisseur und der Autor hätten am Bühnenbild mitgeschrieben. Was viel über diese Berufe verrät. Ich kenne sogar Regisseure, die sagen einem unbedingt als erstes, wenn nach einer Premiere besonders das Bühnenbild gelobt wurde, daß sie daran mitgewirkt hätten. Und etwas wofür sie nichts können, was sie gar nicht erst sagen müssen ist folgendes: wenn sie nach einer Premiere, einer Schauspielerin, auf Knien die Hand küssen, heißt das nicht so etwas wie "danke", sondern: "Du bist mein Geschöpf." Ja, das passiert tatsächlich immer noch, daß jemand beim Schlussapplaus auf Knien herumrutscht. Meistens ist es der Regisseur. Das liegt an den Theaterräumen, in denen es nicht nur zieht, sondern in denen auch ein unendlicher Flirtkäse in der Luft hängt. Sie sehen, das, was bei Brecht als Widerstreit von Meinungen daherkommt, soll im "Schnittchenkauf" von etwas unterlaufen werden, was, nach einem Forscher in der gleichen Sache, "...an Ungenauigkeit noch unterhalb der Meinungen angesiedelt ist. ... Der Klatsch." Der theatertheoretische Text schlechthin muß Namen nennen! Bis zu dem Punkt, an dem sich jeder nur noch für die Namen interessiert und dann muß man sie wieder schwärzen oder weglassen. Wo in Brechts "Messingkauf" seine Theaterpraxis als Widerstreit von Meinungen zwischen einem Philosophen, einem Dramaturgen, den Schauspielern und einem Beleuchter ausgebreitet wird, wird in diesem Buch auf diese Form der Repräsentation verzichtet. Die Schauspieler, an die ich denke, sind von Philosophen infiziert und schon zu schlau für Unterweisungen. "Was sind die Regeln, von mir aus." Das war ein erster Titel dafür, aufzuschreiben, worum wir uns bei der Arbeit kümmern. Der "Schnittchenkauf" jetzt also. Begonnen hab ich damit etwa zwei Monate vor der Ausstellungseröffnung und beenden werde ich ihn, wenn die Ausstellung zu Ende geht. Zum Schluss noch ein Zitat aus dem "Messingkauf": "Du hast noch kein Wort dazu gesagt, als ich dich fragte, warum du zu uns ins Theater kommst." Und aus dem "Schnittchenkauf": "Aber das hier ist kein Theater."

René Pollesch