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LINDA WEISS
 

HANS-JÜRGEN HAFNER, MERRY GO ROUND, “KUNST, KINO, KARUSSELL” (“ART, CINEMA, MERRY-GO-ROUND”), KUNSTFORUM, BD. 180, 2006

Hans-Jürgen Hafner, Merry Go Round, “Kunst, Kino, Karussell” (“Art, Cinema, Merry-Go-Round”), Kunstforum, Bd. 180, 2006

Interessant an dieser Gruppenausstellung ist, wie sie Kohärenz herstellt und welches Bild sie dabei erzeugt. “Merry Go Round“ vermittelt zwischen fünf sehr verschiedenen künstlerischen Ansätzen ohne Resultat einer gezielten Kollaboration zu sein oder, wie es meist betriebsüblich ist, auf einer thematischen Setzung, einer kuratorischen These zu basieren, auf die Künstler- und Werkliste im Sinne eines Belegs zurechtgeschnitten werden. Initiiert und konzipiert hat dieses Ausstellungsprojekt die Solitude-Stipendiatin Claudia Kugler (Jg. 1969) und dabei ein ziemlich eigenwilliges Programm verfolgt. Als Struktur stiftendes Element für “Merry Go Round“ greift Kugler auf den gleichnamigen Film von Jacques Rivette (F/1977) – nicht unbedingt ein Meisterstück des Regisseurs und Theoretikers der Nouvelle Vague – zurück.

Das postmoderne, eher locker leitmotivisch als narrativ linear zusammen geklammerte Pasticcio aus Krimi- und frei improvisierten Kammerspielversatzstücken fungiert in der Schau jedoch weniger als Interpretationsrahmen. Es dient, wie der an sich Metaphern-taugliche Titel ‚Karussell’ (so die deutsche Übersetzung), als assoziative Kulisse, die, weitestgehend unverbindlich, Bezüge zu den einzelnen Arbeiten aufzubauen hilft. In der Ausstellung selbst ist der Film übrigens ganz beiläufig, über eine Monitorsituation, zusammen mit Doku-Material auf einem Tisch, präsent.

Freilich: jeweils für sich gesehen, haben die Arbeiten (und Ansätze) von Miriam Böhm, Michael Schneider, Nadim Vardag, Linda Weiss und Claudia Kugler selber, nicht eben viel miteinander zu tun. Schon was die jeweilig zum Einsatz gekommenen Medien und Techniken – etwa vom handgemachten Papp-Objekt bis hin zur volldigitalen Animation – anbelangt, aber auch in Punkto thematischer Fragestellungen, findet sich nur schwer ein gemeinsamer Nenner, der über ein (eher allgemeines) Interesse an filmischer oder fotografischer Darstellbarkeit bzw. medialer Konstruktion von Realität hinausgeht. Und genau diese formale und inhaltliche Heterogenität produziert spannende Perspektiven.

Michael Schneiders “boardwalk“ (1992) schaut selber wie eine Art Karussell aus. Doch lässt sich das ringförmige, aus vielen Einzelteilen sauber konstruierte Papp-Objekt des Nürnberger Künstlers (Jg. 1963) nur schwer fassen: auf den ersten Blick könnte es als modernistisches Architekturmodell durchgehen, bei dem eine trichterförmig nach innen geneigte Dachkonstruktion beinah schwerelos auf fragilen Papp-Füßchen ruht. Doch bei näherem Hinsehen droht die Konstruktion zu versinken. Ja fast scheint dieses an sich statische Ding in ein unerklärliches Schweben zu geraten; unheimlich ist der Sog, der von seiner ausgesparten Mitte ausgeht.

Gegenüber an der Wand investiert ein sichtlich aufwändig produzierter, großformatiger Print mit allerhand Mitteln darin, den Effekt ‚Fotografie’, samt dem damit verbundenen Link zur Realität hervorzurufen. Darauf zu sehen: eine in ihrer Funktion unbestimmte, völlig entmenschte architektonische Situation oder, sagen wir, Architekturstaffage: so unverbunden stehen die Wände mit ihrer unwahrscheinlich zwischen Psychedelik und immaterieller Leuchtkraft pendelnden Qualität zueinander. Das Bild ist, wie auch eine kleine Animation eines im Loop rhythmisch wiederkehrenden Lichtkegels (o.T., 2005) von Claudia Kugler am Rechner mit Hilfe eines 3D-Programms hergestellt. Ganz auf herkömmlichem Fotomaterial basieren die Animationen von Miriam Böhm (Jg. 1972). Ihr “Statement“ (2003/06) ist die formal spielerische aber medienreflexiv sehr präzise konzipierte Analyse von Architekturaufnahmen; ursprünglich ortsspezifisch für Doppel-Diaprojektion entwickelt, kreist die Arbeit um die Darstellbarkeit von Raum/Perspektive im Bild und zeit Fotografie durch Cut-Outs und Überblendungen als manipulierbares Material.

Aufs Kino, besonders die filmtechnische Trickpalette bezogen arbeitet Nadim Vardag (Jg. 1980). Die Videoinstallation des Wieners “metro/vertigo“, ein in eine Raum teilend konstruierte Lattenverstrebung eingepasster Guckkasten samt Monitor, spürt raffiniert gemacht, was die Ökonomie der Mittel angeht, Hitchcocks Vertigo-Effekt nach: in das schlanke Lattengerüst hineingezwängt erlebt der Betrachter eine endlose U-Bahnfahrt; den Blick stier in den Tunnel gerichtet, wirkt’s, als würde der Zug rasant beschleunigen oder krass seine Fahrt herabbremsen, gefanen in einer Closed-Circuit-Horrortour. Mit ihrem Film “2002.1“ sorgt die Berliner Künstlerin Linda Weiss (Jg. 1970) für eine etwas andere Art von Verstörung. Für die Präsentation des rund 10-minütigen Loops braucht es die völlige Finsternis einer Blackbox. Das Video selbst zeigt schwache Lichtpunkte, verschwimmende Farbsprengsel im nächtlichen Dunkel. Zwar lässt der Sound auf eine nächtliche Zugfahrt schließen, der Effekt ist allerdings die völlige Desorientierung.

“Merry Go Gound“ vermeidet die klaren Ansagen. Doch damit erobert sich die Schau ganz unaufgeregt ihr eigenes Terrain, offen für Bezüge und Fragen. So etwas kommt gegenüber mancher kuratorischer Ehrgeizleistung ganz gut.